In dem Moment, als ich realisierte,
dass unser Absturz unmittelbar bevorsteht,
wollte ich mich am liebsten mit einer Ohnmacht aus der Affäre ziehen.
Stattdessen tat ich aber instinktiv das Richtige
und drückte das Gaspedal bis zum Bodenblech durch.
Da wir glücklicherweise vorher den Allradantrieb zugeschaltet hatten,
haben uns die Vorderräder aus der Gefahrenzone gezogen.
In meiner Panik bin ich die letzten ca. 50 Meter der Engstelle
so schnell wie möglich gefahren.
Nichts wie weg hier.
Nach einer weiteren Viertelstunde,
als wir längst wieder normalen Schotter unter den Reifen hatten
und auch wieder in ebenem Gelände unterwegs waren,
hatte sich mein Puls normalisiert
und auch meine Innereien begannen sich langsam zu entkrampfen.
Jetzt erst bemerkte ich,
dass Kathrin seit unserem Beinaheabsturz kein Wort mehr gesprochen hat,
was für sie sehr ungewöhnlich ist.
Als ich zu ihr hinüber sah,
hatte sie immer noch den Schrecken in den Augen
und eine sehr ungesunde Gesichtsfarbe.
Ich fragte sie ob alles ok sei und was sie von dem Erdrutsch hielt.
Sie meinte nur, sie hätte nicht gewusst, was da los war,
da sich alles auf meiner Seite abspielte.
Nur dass sie das Geräusch der wegbrechenden Strasse gehört hatte.
Zusammen mit der gefährlichen Schräglage unseres Brummis
und meinem erschrockenen Gesichtsausdruck konnte das aber nichts Gutes bedeuten.
Kurz darauf hatten wir die Ortschaft Spangmik am Seeufer erreicht,
wo auch unser Permit endete.
Dahinter war Sperrgebiet.
Obwohl Spangmik nur aus etwa zehn Häusern bestand,
beschlossen wir noch einige Kilometer weiter zu fahren,
da wir nicht in der Stimmung waren,
uns mit Menschen zu unterhalten.
Wir wollten uns nur vom Schrecken erholen.
Bald war auch ein schönes Fleckchen gefunden.
Gute Stimmung kam an diesem Abend jedoch nicht auf,
da wir wussten, dass wir die einzige Strasse die hier her führt
und die sich ja unter uns verabschiedet hatte,
irgendwie wieder zurückfahren müssen.
Da sich auch noch das Wetter verschlechterte,
beschlossen wir früh ins Bett zu gehen.
An Schlafen war jedoch nicht zu denken.
Jeder machte sich seine eigenen Gedanken,
wie man den Weg zurück fahren könnte.
So standen wir am nächsten Morgen ziemlich müde auf,
jeder mit seinen in der Nacht ausgearbeiteten Lösungsvorschlägen.
Diese reichten von:
Auslegen der Strasse mit unseren Sandblechen,
selbst die Strasse auszuschaufeln,
bis hin, die überall verstreuten Straßenarbeiter mit Geld dazu zu bringen,
die Strasse in der Zeit, in der unser Permit noch gültig war, zu reparieren.
Uns war aber schnell klar, dass wir keine wirklich gute Idee hatten,
wie wir jemals wieder nach Leh zurückkehren sollten.
Entsprechend schlecht war auch an diesem Vormittag unsere Laune.
Als sie am absoluten Tiefpunkt angekommen war,
kamen zwei kleine Suzuki-Militärjeeps.
Auch das noch,
wo wir uns ja einige Kilometer außerhalb des Gültigkeitsbereichs
unseres Permits befanden.
Natürlich blieben sie stehen,
und aus den zwei kleinen Autos kletterten ca. zehn Soldaten.
Ein riesiger Sikh, der wohl der Ranghöchste war,
kam auch gleich auf uns zu und wir machten uns auf den kommenden Ärger gefasst.
Statt dessen die üblichen Fragen:
Woher wir kommen, wohin wir wollen, welche Nationalität usw. usw..
Schließlich meinte er noch, dass wir den Weg zurück nicht nehmen könnten,
da die Strasse wegen eines Erdrutsches für mehrere Tage gesperrt sei.
- Ach nein -
Auf unsere Frage wie wir denn wieder nach Leh gelangen sollten,
meinte er beiläufig,
wir könnten ja weiter Richtung China und um das Gebirge herum
immer der chinesischen Grenze entlang fahren.
Wir konnten ihm aber klar machen,
dass es Touristen nur gestattet ist bis Spangmik zu fahren.
Auch das schien für ihn nicht weiter von Belang zu sein.
Er nahm unser Permit,
zeichnete auf die Rückseite eine Art Landkarte und trug alle Orte ein,
die wir durchfahren müssten.
Darunter schrieb er noch einige Zeilen
und setzte seine Unterschrift mit Dienstrang darunter.
Da wir seine Handschrift nicht lesen konnten,
sagte er uns, dass er uns hiermit die schriftliche Erlaubnis erteilt hat,
durch das militärische Sperrgebiet zu fahren.
Am liebsten wären wir beide ihm um den Hals gefallen.
Wieder einmal hat uns das indische Militär aus der Patsche geholfen.
In der deutlich entspannteren Atmosphäre
hatten wir uns mit dem Oberst noch einige Zeit gut unterhalten.
Während unseres Gespräches hat er noch von einem Soldaten
leckeren Aprikosensaft servieren lassen.
Das Ganze, seinem Rang entsprechend,
natürlich stilvoll auf einem Silbertablett,
das die Soldaten in den kleinen Autos
wohl irgendwie noch zwischen sich geklemmt hatten.
Als die Militärs wieder weitergefahren waren,
hat sich unsere Stimmung wesentlich gebessert
und wir konnten endlich die tolle Aussicht über den Pangongsee genießen.
Dazu passend verzogen sich plötzlich die Wolken.
Von unserem Standpunkt aus konnte man auch schon nach China hinüber sehen.
Der Oberst hatte uns genau erklärt,
welche Berge ihnen und welche den Chinesen gehören.
Zwei Tage später sind wir wieder aufgebrochen,
obwohl unser Permit noch drei Tage gültig war.
Aber wir rechneten natürlich mit Schwierigkeiten im Sperrgebiet
und dass wir etwas länger unterwegs sein würden.
Auf einer relativ guten Schotterpiste ging es entlang des Sees.
Hinter jeder Landzunge, die wir umfuhren,
eröffneten sich immer wieder neue, phantastische Ausblicke
auf den See und die umliegenden Berge.
Immer wieder waren kleinere Ortschaften zu durchfahren.
Fast jedes Mal wurden wir von erstaunten Zivilisten angehalten,Wir konnten aber immer mit unserer handschriftlichen Genehmigung beeindrucken.
Wir wurden immer freundlich verabschiedet und darauf hingewiesen,
dass wir ja nicht über das Wasser fahren dürfen, da wir sonst in China wären.
Uns war natürlich nicht klar, was damit gemeint war.
Unser Brummi sah ja nicht gerade so aus als ob er schwimmen könnte,
auch wenn wir dies einige Tage vorher beinahe unfreiwillig ausprobiert hätten.
Einige Kilometer später wurde uns aber klar, wovon gesprochen wurde.
Eine alte klapprige Brücke führte über einen kleinen Fluss.
Nach unserer Karte und den Hinweisen des Oberst war der Berg,
der sich jenseits der Brücke befand ,bereits China.
Am Fuße des Berges konnte man auch einige Wellblechhütten erkennen
sowie diverse Antennen und Satellitenschüsseln.
Offensichtlich der erste chinesische Militärposten.
Die Orientierung wurde uns zusätzlich erleichtert,Es handelt sich dabei um den Wohnsitz für gute und böse Schutzgottheiten,
denen Tierschädel und -hörner geweiht werden, damit sie den Weg beschützen.
Dies war allerdings der erste, den wir sahen,
der fast ausschließlich aus Jak, Tso, Ziegen
und sonstigen Tierhörnern errichtet war.
Es ging einen steilen Anstieg entlang einer Bergflanke hinauf in ein größeres Dorf.
Hier ernteten wir wieder ungläubige Blicke,
es wurde uns aber auch freundlich zugewunken.
Weniger hat uns jedoch gefallen,
dass sich am Ende des Dorfes ein riesiges Militärlager der indischen Armee befand
und uns auch von hier zugewunken wurde, vermutlich jedoch aus anderen Gründen.
Das Fotografieren hatten wir vorsichtshalber eingestellt
und freundlich zurück gewunken.
Dann aber nichts wie weg.
Es ging immer weiter bergauf bis wir uns wieder weit über 4000m Höhe
auf einem Hochplateau befanden.
Hier ging es in großen Bögen um viele Bergrücken herum
und wir waren in der grandiosen Berglandschaft beinahe alleine unterwegs.
Nur vereinzelt begegneten uns Nomaden auf Pferden,
denen wir ebenso frech zugewunken haben,
wie dem einen oder anderen Militärlastwagen, der uns entgegen kam.
So fuhren wir stundenlang dahin,
bis wir wieder einmal hinter einen Bergrücken einbogen
und uns plötzlich im Krieg befanden.
So dachten wir zumindest.
Das ganze Tal war voll mit Militär.
Grosse LKW mit Radaranlagen waren mit Tarnnetzen zugedeckt,
an den Hängen standen monströse Kanonen, die alle nach China ausgerichtet waren
und überall liefen Soldaten bis an die Zähne bewaffnet herum.
Wir waren also mitten in ein Manöver geraten.
Man betrachtete uns genau so erstaunt, wie wir das ganze Szenario.
Mitten im Übungsgebiet waren dann zwei große Leinwände zu sehen.
Zuerst dachten wir an ein Openairkino für die Soldaten.
Als wir aber näher kamen, sahen wir dass hunderte von Soldaten davor saßen
und sich den auf den Leinwänden aufgetragenen Schlachtplan erklären ließen.
Außer einer schematischen Landkarte mit vielen lustigen bunten Pfeilen
konnten wir jedoch nichts erkennen.
Wir beschlossen besser nicht mehr zu winken und zu fotografieren,
sondern besser so zu tun, als wenn es das selbstverständlichste der Welt wäre,
dass wir mitten durch die Übung fahren.
Und es hat funktioniert.
Es wurde gewunken, gepfiffen und gestaunt,
aber es hat sich wohl niemand für uns zuständig gefühlt.
Nach einigen Minuten waren wir dann außer Sichtweite.
Ich hatte jedoch noch für längere Zeit nervös den Rückspiegel im Auge.
Aber niemand folgte uns.
Auch in einem Militärcamp, das wir kurz darauf passierten,
machte man uns keine Schwierigkeiten.
Wir zeigten unsere erweiterte Genehmigung vor
und offensichtlich konnte auch hier niemand etwas mit uns anfangen
und so konnten wir unbehelligt weiterfahren.
Nach einem weiteren Fahrtag zurück nach Leh,
hatten wir am Nachmittag unser nächstes Ziel erreicht.
Wir wollten uns das Kloster und die Festung von Shey ansehen.
Shey war die ehemalige Hauptstadt und das wichtigste Kloster von Ladakh.
Inzwischen leben aber nur noch wenige Mönche hier
und auch die Restaurierung der Gebäude geht nur langsam
und teilweise sehr unprofessionell vorwärts.
Wie viele Klöster wurde auch dieses auf einem kleinen Berg errichtet.
Oben angekommen wussten wir genau,
weshalb sich die wichtigen und heiligen Männer damals
dieses Plätzchen ausgesucht hatten.
Man hatte einen herrlichen, ungehinderten Ausblick über das Industal
und über die Himalaja Range.
Durch eine kleine Türe gelangte man im Inneren des Klosters in einen Innenhof,
von dem aus wiederum viele kleine Türen in die umliegenden Gebäude führten.
Eine Türe führte in einen großen Raum,
in dem der goldene Buddha des Klosters stand.
Da man den Raum über das erste Stockwerk betrat,
konnte man dem Buddha direkt ins Angesicht sehen.
Der Rest des sitzenden Buddhas befand sich in dem Stockwerk darunter,
das jedoch nicht betreten werden konnte.
Die Wände waren über und über voll mit uralten Gemälden
und der ganze Raum war voll mit religiösen Gegenständen.
Hier sahen wir auch den einzigen Mönch der ganzen Anlage,
der darauf aufpasste, dass Souvenirjäger nicht alles leerräumen.
Weiter ging's zurück Richtung Leh.
Jedoch nicht ohne die prächtige Klosteranlage von Tikse zu besuchen,
die wir von unten, beim Vorbeifahren, schon mehrmals bewundert hatten.
Zudem hatten uns Kathy und Jochen, ein Psychologenehepärchen,
das wir in Leh kennen gelernt hatten, erzählt,
dass man dort an der morgendlichen Puja teilnehmen könnte.
Am frühen Abend war Tikse erreicht und wir fanden am Fuße des Klosters
an einer Manimauer einen Standplatz mit einem herrlichen Blick auf das Kloster.
Es dauerte natürlich nicht lange bis wir von Mönchen umlagert waren.
Junge und ältere Mönche hatten den größten Spaß mit uns und freuten sich,
dass wir am nächsten Tag um 6 Uhr morgens an der Puja teilnehmen wollten.
So standen wir morgens um 5 Uhr vor dem Sonnenaufgang auf und erklommen,
über kleine Wege und Gassen, den oberen Teil des Klosters.
Bis auf einige wenige Touristen regte sich aber noch nichts im Kloster
und wir bezweifelten schon, ob wir nicht deutlich zu früh unterwegs waren.
Dann sahen wir aber zwei Mönche mit ihren typischen Mützen
und zwei seltsamen Gegenständen auf das Dach des Klosters steigen.
Von Kathy und Jochen wussten wir,
dass vor der Puja Muschelhörner geblasen werden,
um alle Mönche zu versammeln.
Um nichts anderes konnte es sich dabei handeln.
Also sind wir ihnen einfach nachgestiegen,
da uns ein Mönch vorher versichert hatte,
wir könnten uns ohne jede Hemmung überall frei im Kloster bewegen.
Auf einer Mauer lagen dann die beiden wunderschön gearbeiteten
und verzierten Muschelhörner auf den Mützen der Mönche.
Es dauerte nicht lange und genau in dem Moment,
als die ersten Sonnenstrahlen das Dach des Klosters berührten,
fingen die beiden Mönche an, die Muscheln zu blasen.
Der majestätische Anblick der Mönche,
der faszinierende Ton der Muscheln
und der Ausblick vom Dach des Klosters auf die,
von der aufgehenden Sonne beschienenen Berge des Himalaja,
versetzte uns in eine unheimliche, friedvolle Stimmung.
Es lief uns eiskalt den Rücken herunter und wir hatten Schwierigkeiten,
diese Eindrücke alle aufzunehmen.
Wir hätten stundenlang nur so auf dem Dach stehen können,
dem Ton der Muscheln lauschend und in die Ferne starrend.
Nach einigen Minuten verstummten die Muscheln jedoch wieder
und langsam kehrte Leben ins Kloster ein.
Überall kamen schläfrige Mönche, jung und alt, aus den diversen Gebäuden.
Kurz darauf ging es los mit der Puja.
Dabei handelt es sich um eine Art Morgenandacht.
Dort saßen wir dann in der Pujahalle ca. 2 Stunden im Schneidersitz,
zwischen den Mönchen am Boden.
Normalerweise hätte sich nach spätestens einer halben Stunde
unser Hinterteil schmerzhaft bemerkbar gemacht.
Aber der eintönige Singsang der Mönche und die friedliche, stimmungsvolle
Atmosphäre nahmen uns dermaßen gefangen, dass wir nicht merkten,
wie die Zeit dahin floss.
Besonders begeistert hat uns, dass dabei alles so natürlich und fröhlich abging.
Den Mönchen wie auch uns wurde von Zeit zu Zeit gesalzener Buttertee gereicht,
es wurde gelacht, geratscht, Tee getrunken und Tsampa gegessen.
Alles aber ohne dass dies die religiöse Zeremonie irgendwie beeinträchtigt hätte.
Im Gegensatz zu den todernsten Gottesdiensten,
die wir von zu Hause kennen, hatten wir den Eindruck,
dass die Buddhisten mit ihrer Religion viel unbefangener umgehen,
was deren Gläubigkeit aber keinesfalls oberflächlicher erscheinen lässt.
Als nach ca. 2 Std. die Puja beendet war,
übergaben wir einem Mönch noch eine Glücksschleife,
die er um die Buddhastatue der Pujahalle hing und überreichte uns,
wie es Brauch ist, dafür eine andere.
Wieder im Freien angelangt, stand das Kloster im vollen Sonnenlicht
und wir beschlossen noch auf Erkundungstour zu gehen.
Auch in Tikse gab es natürlich, in einer extra Halle,
eine überdimensionale Buddhastatue.
Wie in Shey gelangte man über das erste Stockwerk in die Halle,
so dass man auch hier dem Buddha direkt ins Antlitz sehen konnte.
Wir hatten uns noch einige Gebäude des Klosters angesehen,
bis sich der, für unsere Verdauung ungewohnte, Buttertee
durch heftiges Gurgeln in unseren Bäuchen bemerkbar machte.
So beschlossen wir unseren Besuch in Tikse zu beenden
und noch an diesem Tag nach Leh zu fahren.
Dort trafen wir auch Ralph, Sonja und Michael wieder.
Es wurden die jüngsten Erlebnisse ausgetauscht und neue Pläne geschmiedet.
Unsere Pläne hat Ralph dann drastisch beeinflusst, indem er uns darauf hinwies,
dass unser Indienvisa doch eigentlich bald auslaufen müsste.
Das hatten wir total vergessen und erstaunt festgestellt,
dass wir nur noch 4 Wochen Zeit hatten für die Weiterreise, zurück nach Nepal.
So haben wir auch am übernächsten Tag Leh zum letzten Mal den Rücken gekehrt
und sind aufgebrochen Richtung Zanskar.
Auf relativ guten Strassen ging es 2 Tage,
in denen wir auch Kathy und Jochen wieder unterwegs getroffen haben,
nach Kargil.
Vielen dürfte der Name der Stadt noch aus den Nachrichten
von vor einigen Jahren bekannt vorkommen.
Hier hatten sich die pakistanische und die indische Armee
über die Berge hinweg über mehrere Tage beschossen.
Tatsächlich sahen wir auch noch viele Häuser,
die durch Granaten zerstört oder beschädigt waren.
Entsprechend unangenehm empfanden wir auch die Stimmung in Kargil.
Die Menschen, fast ausschließlich Moslems, wirkten irgendwie aufgekratzt
und bei unserem Anblick teilweise fast hysterisch, wenn auch nicht aggressiv.
Also machten wir uns auf die Schlafplatzsuche,
irgendwo einige Kilometer außerhalb der Stadt.
Als es bereits dunkel wurde, hatten wir Kathy und Jochen wieder eingeholt,
die bereits einen Platz neben der Strasse gefunden hatten.
Wir gesellten uns dazu und binnen Minuten waren wir von Kindern
und Jugendlichen umgeben, was wir aber aus Indien gewohnt waren
und uns nicht sonderlich störte.
Unangenehm wurde es erst Nachts,
da einige Youngsters sich einen Spaß daraus gemacht hatten,
auf den Autos herumzuturnen und gegen die Türen zu klopfen.
Da wir dies jedoch gelassen ignorierten ,verloren sie bald den Spaß und zogen ab.
Am nächsten Tag beschlossen wir aber möglichst früh aufzubrechen,
um diesen distanzlosen Gesellen nicht aufs Neue zu begegnen.
Immer entlang eines Tales ging es Richtung Zanskar.
Die Strassen wurden immer schlechter
und auch die Stimmung unter den Einheimischen hat sich nicht sonderlich gebessert.
Mittags sind wir wieder zu den Münchnern gestoßen
und hatten uns ernsthaft überlegt, wieder umzukehren,
da die Fahrwege immer schlechter wurden
und wir langsam genug hatten von schlechten Strassen
und der eigenartigen Stimmung unter der Bevölkerung.
Da wir aber die Hälfte der Strecke nach Zanskar schon überwunden hatten,
haben wir uns zum Glück anders entschieden.
Nach einigen weiteren Stunden tauchten plötzlich wieder Gebetsfahnen
auf den Dächern der Häuser auf.
Endlich wieder Buddhisten und tatsächlich wurde die Stimmung wieder besser.
Nicht nur bei uns, sondern auch in den Dörfern, die wir durchfuhren.
Auch die Landschaft wurde immer faszinierender.
Schließlich erreichten wir den ersten Gletscher.
Wir waren tief beeindruckt von der gräulich, schwarzen Eismasse,
die sich ins Tal vorschob.
Wir ahnten ja noch nicht, dass wir bereits einige Kilometer weiter
einen viel größeren und beeindruckenderen Gletscher zu Gesicht bekommen sollten.
Dieser war von zwei Seiten um einen Gipfel herum,
aus den Bergen ins Tal vorgedrungen.
Er war nicht nur viel größer, sondern entsprach von der Farbe auch eher dem,
was wir uns unter einem Gletscher vorstellten.
An einigen Stellen, an denen der Gletscher abbrach,
konnte man unter der mit Geröll versetzten Eisschicht
reines, blau schimmerndes Gletschereis sehen.
Unsere Stimmung hat sich schlagartig gebessert.
So beschlossen wir, als wir abseits der Strasse eine schöne,
ebene Wiese erspähten, den Tag etwas früher zu beenden
und uns etwas Pause zu gönnen.
Wir richteten uns für die Übernachtung ein
und Kathrin machte erst einmal ihre Erkundungsrunde.
Plötzlich schrie sie auf.
Ich dachte sie hätte wieder einmal eine Spinne entdeckt
und konnte nicht erkennen, dass es ein Ausdruck der Freude war.
Also rannte ich zu ihr hin und war erstaunt, was sie mir zeigte.
Wir hatten inmitten einer Wiese geparkt,
die über und über mit Edelweiß bedeckt war.
Diese Blumen, die bei uns unter Naturschutz stehen,
wachsen hier wie Unkraut und werden sogar von den wenigen Ziegen,
die sich hier herumtrieben verschmäht.
Nach Kargil erschien uns Zanskar nun doch wie ein Paradies.
Die kommende Nacht war ruhig
und nach der Hitze der vergangenen Tage angenehm kühl.
Gut erholt ging es morgens wieder früh los,
da wir es bis abends nach Sani schaffen wollten,
wo am nächsten Tag ein zweitägiges Maskenfest beginnen sollte.
Wir hatten unseren letzten Pass bezwungen und unterhielten uns gerade
über die beeindruckenden Ausblicke auf die Gletscher des Vortages.
Da tauchte er hinter einer Biegung auf.
Der ultimative Gletscher.
Über viele Kilometer schlängelte er sich durch ein Tal.
In der Ferne konnte man schwach das Gebirge erkennen
in dem er wohl entstehen musste.
Ein Gletscher wie im Bilderbuch.
Seitenmoränen, Endmoräne, Spalten, alles da.
Das Ganze in riesigen Ausmaßen.
Die Eismassen, an denen wir an der Gletscherzunge vorbeifuhren
sind wohl schon vor hunderten von Jahren als Schnee in den Bergen niedergegangen.
Es war eins dieser Naturwunder, die dazu führen,
dass man sich klein und unwichtig fühlt.
Am Abend war Sani erreicht.
Auf einer großen Wiese mit dem heiligen Fischteich des Klosters,Hier haben sich neben diversen Pilgern auch Kathy und Jochen wieder eingefunden.
Am nächsten Morgen sind wir zum festlich geschmückten Kloster aufgebrochen.
Rund um das Kloster waren diverse Fressbuden aufgebaut
und tibetische Händler boten Handarbeiten und sämtlichen Krimskrams zum Verkauf an.
Gegen Mittag füllte sich der Vorhof des Klosters langsam mit Schaulustigen
und immer mehr Mönchen.
Unter einer Tribüne nahmen die höheren Mönche und jene mit Instrumenten Platz.
Dann setzte die Musik ein und schlagartig füllte sich der Vorhof.
Es war eine eigenartig eintönige Musik mit Becken, Trommeln und kleinen Glocken,
teilweise begleitet von ebenso eintönigem Gesang einiger Mönche.
Man konnte (und musste ja auch) stundenlang zuhören.
Schließlich traten die Tänzer auf.
Zu unserer Enttäuschung aber ohne Masken.
Wir erfuhren, dass am ersten Tag die selben Tänze wie am zweiten
durchgeführt werden, nur eben ohne Masken und Kostüme.
In immer neuen Formationen wurden stundenlang Tänze vorgeführt.
Dazwischen trat noch eine Männertanzgruppe aus dem Dorf auf.
Es war ein eigentümlicher Tanz, der nur darin bestand,
dass die Männer im Kreis gingen und immer einen Arm hoben,
sich ihren Schal umschlangen und den anderen Arm senkten,
wobei sie den vorher dort umwickelten Schal abstreiften.
Zwischen den Zuschauern bewegten sich zwei Dorfspassvögel,
die als einzige Masken trugen.
Sie pickten einzelne Zuschauer heraus, die ordentlich veräppelt wurden.
Das ging dann so lange und mündete in ein Geheule,
bis man sich durch einen kleinen Geldbetrag losgekauft hatte.
Zur Entschädigung bekam man aber aus einem alten Motorölkanister
etwas Reisschnaps zu trinken.
Dass sich die Guten natürlich auch mich ausgesucht haben für ihre Späße,
brauche ich wohl nicht zu erwähnen.
Auch bei mir taten sie so als würden sie mir die Kleider
und Schuhe mit einem alten Lumpen putzen.
Das Gelächter war natürlich groß,
als ich meine Kappe abnahm und ich ihnen deutete,
sie sollen meine frisch rasierte Glatze polieren.
Kathrin hat mich dann schließlich freigekauft
und bekam neben mir dafür auch etwas von dem Schnaps angeboten.
Es war ein furchtbar scharfes Gebräu,
das irgendwie nach alten Socken und Fledermauslulu schmeckte.
Aber wir waren höflich und schütteten es in uns hinein.
Am späten Nachmittag war das Spektakel zu Ende.
Wir wollten aber noch abwarten, bis der erwartete Headlama von Ladakh eintraf,
der die eigentliche Zeremonie am nächsten Tag leiten sollte.
Also stellten auch wir uns mit unseren Glücksschleifen
entlang der Klostermauer auf und warteten.
So standen wir dann noch eine halbe Stunde brav in der Schlange.
Als aber die ersten Polizeiautos kamen und der Wagen des Lamas in Sicht war,
gab es kein Halten mehr.
Meinen ersten Platz in der Reihe habe ich in Sekundenschnelle an dutzende,
viel schmächtigere und kleinere Zanskari verloren.
Glaube mobilisiert eben doch Kräfte.
Da wir die meisten aber weit überragten,
konnten wir dem Lama unsere Glücksschals wenigstens zuwerfen,
auch wenn sie neben hunderten anderen auf dem Wagen landeten.
Damit ging der Tag langsam zu Ende.
Der Bericht übrigens auch.
Martin & Kathrin